Die Macht der 90-Sekunden-Regel: Emotionen meistern und die eigene Story gestalten

Ganze 90 Sekunden dauert eine Emotion in unserem Körper, solange ist diese physisch messbar. Alles danach ist Storytelling, die Geschichte, die wir um die Emotion bauen, die sie verlängert und oft auch verstärkt. Das gilt für positive Emotionen, die wir gerne länger aufrechterhalten wollen, genauso wie für negative, die wir am liebsten unterdrücken oder abschütteln wollen. 90 Sekunden, und dann ist alles vorbei. So einfach es klingt, ist es zumindest nicht, zumindest nicht am Anfang. Unsere kognitiven Fähigkeiten machen uns das Leben nicht so einfach, und es bedarf ein bisschen Übung.

Wie wir mit unseren Emotionen umgehen können

Das nächste Mal, wenn eine (negative) Emotion aufkommt (Wut, Angst, Trauer), dann lass sie einfach zu und bewerte sie nicht, hinterfrage sie nicht, einfach nur 90 Sekunden da sein lassen. Am Anfang wird es dir schwerfallen, deine Gedanken loszulassen. Mit jedem Mal wird es dir einfacher fallen. Danach gibst du einem Gehirn Ablenkung mindestens 2 Minuten, etwas anderes, womit es sich beschäftigen kann. Wir wollen damit Körper von den Gedanken trennen. Damit treten wir einen Schritt zurück, bewerten die Situation objektiver und können die Kreisläufe, in denen wir uns befinden aufbrechen. Das macht es uns auch einfacher in akuten Situationen.

Machen wir das Ganze mal an einem einfachen Beispiel. Es ist Montagmorgen und du bist nach 3 Wochen Urlaub wieder zurück an deinem Arbeitsplatz. Das Abschalten ist dir am Anfang nicht einfach gefallen. Du stehst extrem unter Druck, dein Projekt läuft nicht wie erwartet, die Mitarbeiter:innen, Kunden und der Chef sind unzufrieden. Unterbesetzt seid ihr schon lange, insgesamt steht das Projekt ziemlich auf der Kippe. In genau dieser Situation stand dein Jahresurlaub an. Du konntest dir genau vorstellen, wie sich alle die Münder zerreißen würden, dass du ausgerechnet jetzt in den Urlaub gehst. Daran lässt sich nichts ändern, schließlich waren die 3 Wochen Südamerika gebucht. Nun bist du also zurück, einigermaßen gut gelaunt, weil die Reise wirklich sehr schön war. Während du deinen Laptop hochfährst, erinnerst du dich an die Situation vor 3 Wochen und verspürst schon einen Stein in der Magengegend. Das Handy hast du dich noch nicht eingeschaltet. Als du Outlook öffnest, stehen dort 430 ungelesene Mails, und auf den ersten Blick haben alle ein rotes Ausrufezeichen für „dringend“. Da kommt dieses Gefühl von Panik und Angst in dir auf. Panik, weil du nicht weißt, wie du das alles schaffen sollst, und Angst, versagt zu haben. Spätestens jetzt kannst du die 90-Sekunden-Regel anwenden.

90-Sekunden-Regel anwenden

Lass deine Emotionen zu, nimm war, was jetzt da ist, bewerte es nicht und unterdrücke es nicht. Nach 90 Sekunden stehst du auf und gibst deinem Geist eine neue Aufgabe für mindestens 2-5 Minuten. Etwas, das gar nichts mit dem Thema zu tun hat, und dann setzt du dich zurück an deinen Platz und arbeitest deine Mails ab. Was sich hier dann zeigen wird: Die Mails sind weniger dramatisch, als du erwartest. Zuhause ist so eine Situation natürlich viel einfacher als am Arbeitsplatz, aber auch da findet man Möglichkeiten. Entscheidend ist, den Körper von den Gedanken zu trennen. Was ich hier deutlich machen möchte, ist, dass wir unsere Story selbst bestimmen.

Die Story verändern Übung Erwartungen

Betrachten wir die Story, haben diese, Führungskräfte so oder so ähnlich schon erlebt. Ich habe bewusst die Bezeichnung „Story“ gewählt, weil es genau das ist, es ist nur eine Geschichte, die wir konstruieren.

Ob unsere Mitarbeiter:innen so denken, wie oben beschrieben, wissen wir meistens nicht, weil wir sie nicht gefragt haben. Wir projizieren unsere Erwartung, die wir an uns selbst haben, auf unsere Mitarbeitenden. Das ist uns häufig nicht bewusst, wir werden immer strenger mit uns selbst sein, als andere mit uns. Das führt dazu, dass wir uns selbst unter enormen Druck setzen. Eine einfache Möglichkeit, diesen Druck zu reduzieren, ist, sich mit seinen eigenen Erwartungen/Zielen auseinanderzusetzen und das ziemlich konkret und unbedingt zu verschriftlichen.

  1. Schritt: Die eigenen Erwartungen/Ziele an sich selbst formulieren.

Das können Sätze sein wie:

„Als Projektleitung möchte ich die Marge im Projekt jährlich um mindestens 10% steigern.“

„Als Projektleitung möchte ich, dass sich meine Mitarbeitenden weiterentwickeln können.“

„Ich erwarte, meinen Überstundenhaushalt in Balance zu halten und nicht mehr als 20 Stunden aufzubauen.“

„Ich erwarte, dass ich meine Arbeit nicht über meine Gesundheit stelle.“

„Ich möchte eine geschätzte Führungskraft sein.“

Alle diese Erwartungen/Ziele lassen sich noch mit konkreten Maßnahmen und Umsetzungsmöglichkeiten beschreiben. Die Beispiele beziehen sich konkret auf die Rolle als Führungskraft. Diese kann man sinnvollerweise auch ganzheitlich auf den Rest des Lebens erweitern. Dabei ist es sinnvoll Erwartungen/Ziele möglichst messbar zu formulieren.

2. Schritt: Mitarbeitende Erwartungen an sich selbst

Wenn man für sich Erwartungen/Ziele definiert hat, dann kann man jetzt die Erwartungen der anderen erfragen. An dieser Stelle würde ich anders als die meisten nicht meine Erwartungen an Mitarbeitende kommunizieren, sondern die Mitarbeitenden ihre eigenen Erwartungen an sich als Mitarbeitende notieren lassen.

3. Schritt: Erwartung an die Führungskraft durch Mitarbeitende

Mitarbeitende definieren ihre Erwartung an die Führungskraft. Jeder Mitarbeitende für sich.

4. Präsentation der Ergebnisse

An dieser Stelle benötigt man etwas Mut, zunächst präsentierst du, als Führungskraft deine Erwartungen an dich selbst in deiner Führungsrolle (du musst nicht jeden Punkt preisgeben). Danach kommen die Mitarbeitenden mit ihren Erwartungen an die Führungskraft und zum Schluss die Mitarbeitenden mit ihren eigenen Erwartungen (hier muss nicht jeder). Die Ergebnisse werden auch nur mündlich mündlich wiedergeben.

Sicher fragst du dich, warum wir an der Stelle als Führungskraft keine Erwartungen an Mitarbeitende kommunizieren?! Ganz einfach, weil sich in den meisten Fällen das Kommunizieren der eigenen Erwartungen von Mitarbeitenden schon zeigt, dass Mitarbeitende ähnliche, meist deutlich höhere Erwartungen haben. Solltest du das Gefühl haben, dass es notwendig ist, dann ist das auch möglich. Dabei sollte es dann nicht um Dinge gehen, die schon durch den Arbeitsvertrag oder die Unternehmensleitlinie definiert sind.

Bei dieser Übung wirst du feststellen, dass keiner deiner Mitarbeitenden erwartet, dass du deinen Urlaub verschiebst, keiner wird von dir eine permanente Anwesenheit verlangen. Alles, was deine Story begünstigt und Emotionen und Stress auslöst, ist die Geschichte, die du dir erzählst.

Es empfiehlt sich, die Erwartungen und Ziele regelmäßig zu evaluieren und ggf. anzupassen. Man kann das im Team machen oder jeder für sich. Dabei ist es wichtig, nicht zu hart mit sich zu sein, wenn man etwas nicht erfüllt. Vielleicht war es nicht sinnvoll? Vielleicht war das Ziel oder die Erwartung im Nachhinein zu hoch oder der Zeitraum zu kurz? Vielleicht haben persönliche Umstände dies beeinflusst. Das Ziel ist oft nicht entscheidend, sondern der Weg. Wenn du etwas nicht erreichst, dann überlege dir, was du positives aus dem Weg mitnehmen kannst.

Zeitrahmen: Für die Übung mit den Mitarbeitenden sollte du ca. 2,5-3std. einplanen. Dabei geht es nicht um gemeinsame Zeit, diese sollte nicht mehr als 1,5std. in Anspruch nehmen. Für das Notieren der Erwartungen und Ziele gibt den Mitarbeitenden 1-1,5. std. Arbeitszeit. Es ist durchaus auch sinnvoll, das dieses nicht vor Ort erledigt wird und genug Vorlauf hat. 2 Wochen sollten Mitarbeitende Zeit haben um sich vorzubereiten. Bei großen Teams, kann man die gemeinsame Präsentationszeit so steuern, dass jeder nur 1-3 Punkte nennt. Wenn du das Gefühl hast, es besteht kein Vertrauen, dann kannst du immer auch 4- Augengespräche anbieten. Für einige Mitarbeitende wird es unverständlich sein, warum du diese Übung machst. Darum ist es wichtig, dass vorher zu kommunizieren. Wir wollen verstehen, welche Erwartungen an uns als Führungskraft gestellt werden, wir wollen Transparenz zeigen und damit Vertrauen schaffen, welche Erwartungen wir an uns selbst haben. Wir wollen verstehen, welche Ziele und Erwartungen Mitarbeitende an sich haben, um sie zu fördern und besser zu verstehen, wie sie handeln. Was wir nicht wollen, ist Erwartungen aufstellen an denen wir unsere Mitarbeitenden messen. Viel mehr können wir die intrinsische Motivation vonMitarbeitenden nutzen.

Die Methode gegenseitiger Erwartungen ist nicht neu, der Unterschied besteht darin, sich auf seine eigenen Erwartungen an sich selbst zu konzentrieren. Warum ist das hilfreich? Um unsere Story zu verändern, die Emotionen in uns auslöst. Je mehr Fakten wir haben, umso weniger Story bauen wir.


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