Stress als Treiber: Wie wir Stress positiv nutzen können

Wenn wir von Stress sprechen, dann belegen wir das meistens negativ. Wer Stress hat, hat irgendwie ein Problem; wer aber keinen Stress hat, der hat auch irgendwie nichts zu tun. Im Stress etwas Positives zu sehen, fällt uns zunächst einmal nicht leicht. Wir kennen alle jemanden, der sich immer über Stress beklagt, und auch jemanden, der Sätze sagt wie: „Ohne Stress funktioniere ich nicht richtig!“. Doch was ist Stress eigentlich?

Was ist Stress?
Die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung beschreibt Stress als „… die starke Beanspruchung eines Organismus durch innere oder äußere Reize“. Wenn wir glauben, körperlich oder geistig etwas nicht schaffen zu können, dann sprechen wir von Stress. Unser Herz schlägt schneller und der Blutdruck steigt; unser Körper ist wach und bereit. Stress ist nicht per se negativ, er ist sogar überlebenswichtig.

Was passiert bei Stress in unserem Körper?
Doch was passiert da genau bei uns? Wir nehmen eine Situation wahr, die wir als überfordernd (als Gefahr) einstufen. Unser Sympathikus wird aktiviert, die Hormone Adrenalin und Noradrenalin werden freigesetzt. Das bewirkt, dass der Blutdruck steigt, mehr Blutzucker bereitgestellt wird und sich unsere Bronchien erweitern. Dann kommt das Hormon Cortisol hinzu und hält unseren Geist und Körper wach, in Alarmbereitschaft, ready to fight or flee.

Ist die Gefahr vorbei, geht der Körper in den Entspannungsmodus. Der Hippocampus schickt die Info weiter, die Hormone zu zügeln. Als Nebenprodukt entsteht körpereigenes Morphium; der Körper fühlt sich wohl und das Belohnungszentrum im Gehirn springt an – wir haben etwas richtig gemacht! Außerdem wird Serotonin freigesetzt, das unseren Körper nach dem Stress beruhigt. Damit unser Stresssystem nicht aus dem Gleichgewicht gerät, haben wir das Anti-Stress-Hormon Dehydroepiandrosteron (DHEA), das als Gegenspieler des Cortisols bezeichnet wird. DHEA gehört zur selben Gruppe wie Testosteron, ist aber schwächer und wird sowohl von Männern als auch von Frauen produziert. Die Produktion nimmt mit dem Alter ab. Wird Cortisol aufgrund von Stress produziert, steigt auch der DHEA-Spiegel. Weil sich die Produktion im Laufe des Lebens verändert, wird die Fähigkeit, Cortisol durch DHEA zu regulieren, schwächer. Neben dem Alter haben auch andere Faktoren negativen Einfluss auf den DHEA-Spiegel, dazu gehören Rauchen, übermäßiger Alkoholkonsum, Übergewicht und schlechte Ernährung.

Diese Reaktion in unserem Körper ist überlebenswichtig. Wenn wir an unseren Alltag denken, befinden wir uns vermutlich selten in einer Situation, in der wir in den Überlebensmodus gehen müssen, anders als Berufsgruppen wie Polizei oder Militärdienst. Und trotzdem haben wir Stress, und unser Körper durchläuft dieselben Mechanismen.

Elementar ist, dass wir Stress selbst regulieren und uns nicht permanent diesem aussetzen.

Was sind Stressoren?
Was unsere Stressoren sind, können wir weitestgehend beeinflussen. Stressoren sind, einfach gesagt, die Inhalte und Situationen, die dafür sorgen, dass wir Stress empfinden. Wir müssen zunächst innere und äußere Stressoren unterscheiden, die dafür sorgen, dass wir ganz unterschiedlich Stress erleben.

Äußere Stressoren sind, neben der Bedrohung des eigenen Lebens durch offensichtliche Gefahr, alltägliche Einflüsse, denen wir ständig ausgesetzt sind. Das kann ein lautes Geräusch sein, ein Windzug oder Sand am Strand, der ins Auge weht.

Bei inneren Stressoren konzentriere ich mich auf die psychologischen. Das kann ein unbedeutender Streit sein, ein heruntergefallenes Ei, das auf dem Küchenboden zerschellt, oder jemand in der Schlange beim Bäcker, der sich nicht entscheiden kann.

Egal, wie groß der Stressor ist, egal wie gefährlich, wir müssen damit umgehen. Wie wir den Reiz empfinden, ob positiv oder negativ, hängt stark davon ab, welche Erfahrungen wir gemacht haben und wie wir gelernt haben, auf bestimmte Stressoren zu reagieren.

Unser Coping-Verhalten, also wie wir Stress bewältigen, beeinflusst unsere Bewertung. Haben wir grundsätzlich gute Coping-Mechanismen, dann bewerten wir Stressoren eher als Herausforderungen und weniger als Gefahr. Unser Coping-Verhalten können wir auf verschiedene Arten trainieren.

Beispielsweise wird eine Polizistin, die körperlich angegriffen wird, ein geringeres Stresslevel haben als jemand, der nicht trainiert ist, mit solchen Situationen umzugehen. Dasselbe Prinzip gilt auch für unsere inneren Stressoren.

Die Mechanismen von Stress können wir aber auch für uns nutzen. Es kommt auf die Form der Bewältigungsstrategie an. Ist man eher problemorientiert, dann setzt man direkt am Stressor an und muss diesen inhaltlich lösen. Ein gängiges Beispiel ist für viele die Steuererklärung, die man immer wieder auf den Haufen unerledigter Aufgaben verschiebt. Diese einfach anzugehen, statt sie immer wieder zu verschieben, ist eine einfache Bewältigungsstrategie. Das Ergebnis stellt sich zeitnah ein, und man kann ähnlichen Problemen gelassener gegenübertreten. Problematisch wird es, wenn man dem Konflikt zunächst ausweicht oder dieser sich nicht so lösen lässt; das sorgt dann für mehr Stress.

Eine andere Form ist die emotionsorientierte Bewältigungsstrategie, bei der man zunächst das Stressgefühl verringert. Das kann durch bewusstes Ablenken wie durch Sport oder Meditation erfolgen. Dies löst zwar nicht das Problem, das den Stress verursacht, aber sorgt dafür, dass bestimmte Stresssituationen klarer inhaltlich gelöst werden können.

Besonders in sozialen Konflikten ist dies ein ratsamer Weg. Nehmen wir ein einfaches Beispiel: Als Führungskraft stellst du fest, dass ein Teammitglied erneut zu spät zur Arbeit erschienen ist. Das Gespräch über Pünktlichkeit hattet ihr erst vor ein paar Tagen. Dieses Mal war das Teammitglied zu einem Kundentermin unpünktlich. Obwohl der Termin gut lief, bemängelte der Kunde, dass der Kollege später kam und damit alle warten mussten. In dieser Situation merkt man schnell, wie der Puls ansteigt, man wütend wird, gestresst ist, weil man nicht mehr weiß, was man mit der Person machen soll. Statt dem ersten Impuls nachzugeben, ist es sinnvoll, sich zu beruhigen, sich abzulenken, aus der Situation herauszugehen, ggf. sogar einen Tag oder länger zu warten, den Inhalt zu sortieren und das Gespräch mit mehr Klarheit vorzubereiten, um dann weniger gestresst in das Gespräch zu gehen.

Dieser einfache Coping-Mechanismus sorgt bei regelmäßiger Umsetzung dafür, dass wir viel weniger in Stress geraten, besonders wenn der Stressor ein sozialer Konflikt ist. Stressoren sind bei jedem anders, können sich durch Coping-Mechanismen aber verändern. Als Folge davon wird Stress reduziert.

Wenn man mit jemandem spricht, der großen Stress empfindet und dieser Person nahelegt, sie müsse Stress reduzieren, dann hört man immer Sätze wie: „Das ist nicht so einfach“, „Ich habe keine Zeit, mich auszuruhen“, „Wenn ich wüsste, wie“ usw. All diese Aussagen haben ihre Berechtigung, und genauso empfinden es extrem gestresste Personen. Damit liegen sie in Teilen natürlich auch richtig.

Stressreduzierung ist nicht einfach, viele verbinden damit zusätzlichen Stress, weil sie glauben, sie müssten sich Zeit nehmen, um nicht mehr gestresst zu sein. Das ist sicher auch richtig, aber ich würde immer etwas weiter vorne anfangen, und zwar, wie vorher beschrieben, mit der Bewertung der Stressoren.

Was löst bei mir Stress aus? Ist der Stressor „Zeit“? Ist der Tag zu voll, und muss ich von A nach B hetzen? Das ist meistens von außen gesteuert und hat wenig Einflussmöglichkeiten. Dennoch kann ich Prioritäten setzen und auch mal „Nein“ sagen. Ist der Spielraum ausgeschöpft, dann stellt sich die Frage: Was passiert, wenn etwas nicht „in Time“ erledigt wird? Wie schlimm ist es, und hätte ich etwas anders tun können? Situationen, die wir nicht beeinflussen können, wie einen Stau oder Verspätungen bei der Bahn, sollten uns nicht stressen lassen.

Dass Stress schlecht ist, haben wir verstanden. Dass man Stress reduzieren kann, indem man seine Stressoren kennt und Coping-Mechanismen anwendet, ebenfalls.

Aber wie können wir Stress für uns nutzen?

Stress für uns positiv zu nutzen klingt so, als könnte man ihn einfach umwandeln. Das klingt zu schön, um wahr zu sein. So einfach ist es jedoch nicht.

Stress positiv zu nutzen bedeutet, den Flow zu finden, der zwischen den relevanten Fähigkeiten einer Person und der gerade noch angemessenen Herausforderung liegt. Findet man den Mittelweg, dann kann man den Flow wunderbar nutzen. Eine Aufgabe muss dazu schwierig sein, aber nicht überfordernd, sodass die Motivation aufrechterhalten wird. Das ist die positive Erfahrung, die Menschen mit Stress machen und die ihnen ermöglicht, maximale Leistungsfähigkeit zu erreichen – das gute Gefühl. Die meisten von uns haben es schon einmal erlebt: Man steht vor einer Aufgabe, die eine Herausforderung darstellt, nicht unlösbar, aber durchaus schwierig. Während des Prozesses erlebt und lernt man etwas Neues, es ist vielleicht spannend, und die Anstrengung, die wir zunächst empfunden haben, verschwindet. Es entsteht das Gegenteil: Wir empfinden eine Energie und Motivation, und die Aufgabe fühlt sich leicht an – der Stress-Flow!

Vergleichbar mit dem Runner’s High beim Joggen.

Aber wie machen wir aus negativem Stress positiven Stress? Und ist das überhaupt möglich?

Leider ist es nicht so einfach. Der Körper hat evolutionsbedingt Stress als Sicherheitsmechanismus eingebaut, der uns in Gefahrensituationen beschützt. Diese Reaktion von 180 auf 0 zu bringen, funktioniert nicht sofort. Aber wir können Mechanismen erlernen, um sie schneller abklingen zu lassen.

Einen davon habe ich bereits beschrieben, und das ist die Akzeptanz. Das heißt, wir nehmen die Situation so an, wie sie ist. Das Problem, wie beispielsweise bei der Steuererklärung, wird zwar nicht sofort gelöst, aber wir lernen einen Umgang damit. Achtsamkeitsübungen können dabei helfen, Situationen schneller zu akzeptieren und dadurch die damit verbundenen negativen Gefühle entweder gar nicht oder in geringerem Maße zu empfinden.

Wer noch immer auf die Zauberformel wartet, hat langsam gemerkt, dass es nicht so einfach ist mit dem Stress.

Wer Stress langfristig reduzieren will, muss seine Stressmerkmale kennen, diese frühzeitig erkennen und die dazugehörige Stressbewältigungsstrategie anwenden.

Das Ganze erfordert Zeit und Forschungsarbeit mit den eigenen Gefühlen und Emotionen. Erst dann erfährt man, ob sich die Stressmerkmale reduzieren und ob die eingesetzte Strategie erfolgreich war.

Wenn wir genug Forschungsarbeit betrieben haben, können wir unseren Stress schneller reduzieren und öfter sowie schneller in den produktiven Stress-Flow gelangen.

Zusammenfassend: Stress ist eine natürliche Reaktion des Körpers, die uns hilft, in herausfordernden Situationen zu reagieren. Es ist nicht grundsätzlich negativ, sondern kann, richtig bewältigt, sogar unsere Leistungsfähigkeit steigern. Entscheidend ist, wie wir mit Stress umgehen. Durch den Einsatz von Bewältigungsstrategien wie Achtsamkeit und Coping-Techniken können wir Stress regulieren, anstatt von ihm überwältigt zu werden. Der Schlüssel liegt darin, Stressoren zu erkennen und gezielt zu handeln, um Stress für uns positiv zu nutzen und den „Flow“ zu finden.


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